Körperfaszie Zeichnung im Raum 3 Raumskelette
Das künstlerische Schaffen Dorothea Reese-Heims umkreist seit jeher die Phänomene von Material und Gestalt. Raum, Körper und Linie in ihrer gegenseitigen Bedingtheit. Spontan hatte die Künstlerin im Lindenkeller ein Raumelement gefunden, das sich für einen spannungsvollen Dialog mit den „Körperfaszien“ ihrer momentanen Werkphase anbot. Es sind die dicken Versorgungsrohre aus silbern glänzendem Aluminiumblech, die an einer Stirnseite des Raumes vom Boden zur Decke aufsteigen, um sich dort nach einer wulstigen Biegung durch die ganze Länge des Dachstuhls zu ziehen. Sie finden eine künstlerische Verfremdung in drei filigrane Turmskeletten aus Geflechten spiralförmig aufwachsender Glasfaserstäbe, die durch feine Kabelbinder netzartig miteinander verknüpft sind. Die Textilkünstlerin Reese-Heim arbeitet ausschließlich mit Werkstoffen, die ungewöhnlich aus dem rein funktionalen Bereich textiler oder industrieller Fertigung bekannt sind, um durch die Poetisierung im Kunstwerk die ihnen eigene Ästhetik offenzulegen. Dabei verwächst die Gestalt eines Dialogs zwischen dem physikalischen Verhalten des Materials und der künstlerischen Idee. Die hier verwendeten Fiberglasstäbe werden gewöhnlich beim Brückenbau als extrem belastbare Skelette verwendet, das einer dicken Betonschicht inneren Halt gibt. die Künstlerin hat sie aus Funktion und Umhüllung befreit, macht sie, ganz sich selbst genügend, sichtbar und windet die flexiblen Stäbe gegen ihre gerade Spannung zum spiralförmigen Turm, aus dem sie oben und unten, vom Zwang der Halterung befreit, zu spitzen Strahlenkränzen aufspringen. Durch das Ineinander von jeweils zwei unterschiedlich schwarz und blau gefärbten Türmen wird die dem Material eigene Dynamik noch verdeutlicht, verhalten sich doch die einzelnen Skelette antipodisch zueinander in sich verengenden und weitenden Formen. Man denkt an Lebewesen, an Knorpelskelette oder Geflechte von Blut- und Nervenbahnen, die nach klaren funktionalen Gesichtspunkten geordnet und doch organisch gewachsen sind.
Im Neben- und Gegeneinander mit den Aluminiumröhren des Lindenkellers ergibt sich eine unendliche Vielfalt von optischen und gedanklichen Assoziationen: Unser Blick schärft sich für deren spiralförmig strukturierte Haut, die hermetisch geschlossen ihr Inneres verbirgt und doch durch Spiegelung den Raum reflektiert. Im Kunstwerk dagegen eine allseitige Offenheit, raumdurchlässig und doch umschlossen – Körper, wie mit Linien in die Leere geschrieben. Gedanken über die Bedingtheit von Raum und Körper, Innen und Außen, funktional bestimmter und freier Form, Statik und Bewegung drängen sich auf.
Dr. Marion Tietz-Stödel, München 1998